„Die Zeit“ N° 3, 09.01.2020, Seite 18-19. (Christoph Dieckmann) Ein Porträt des letzten Innenministers der DDR, Peter-Michael Diesel, wird unter der Überschrift „Der Freischütz“ veröffentlicht. Die Seite 19 ist dann mit einer Überschrift kontaminiert: Die Republik werde kippen, wenn man die Ostdeutschen weiter ausgrenze, sagt er.


„Die Zeit“ N° 4, 16.01.2020, Seite 18-19. (Martin Debes, Miriam Lau und Martin Machoecz) In diesem Artikel, in dem unter der Überschrift „Das verwirrte Land“ über die Schwierigkeit einer Regierungsbildung nach der Thüringer Landtagswahl berichtet wird, findet sich im Text folgende Passage: „Am Montag dieser Woche, im Hotel Radisson in Erfurt: schwere weinrote Teppiche, sanierter Sozialismus. Das einstige »Interhotel Kosmos« ist ein Hochhausblock am Juri-Gagarin-Ring. Vor 30 Jahren, als die DDR implodierte, war es das einzige Haus in der Stadt mit halbwegs westlichen Standards. Die meisten Reporter kamen hier unter, um darüber zu berichten, wie aus den Ruinen des Realsozialismus das Land Thüringen wieder auferstand. Es war eine wilde Zeit.

Wild ist es jetzt wieder. Es ist der Tag nach Ramelows und Mohrings Abendessen mit Joachim Gauck. Der Termin ist schon lange angesetzt, eine Besprechung aller im Landtag vertretenen Parteien außer der AfD über die Frage: Wie weiter?

Natürlich steht der Termin aber im Schatten dessen, was am Vortag geschehen ist. Auf dem weinroten Teppich wartet das halbe rot-rot-grüne Landeskabinett, das geschäftsführend im Amt ist, neben der Opposition, die irgendwie mitregieren soll: Ramelow, der linke Ministerpräsident. SPD-Chef Wolfgang Tiefensee. Anja Siegesmund, die Umweltministerin, die aufpassen muss, dass ihre Grünen in all dem Durcheinander nicht verloren gehen.


„Die Zeit“ N° 4, 16.01.2020, Seite 20. (Tanja Stelzer und Xifan Yang) Und so beginnt unter der Schlagzeile „Kein Mensch regiert in Neulewin“ und der Unterschlagzeile, „Immer mehr Gemeinden haben Probleme, einen Bürgermeister zu finden. Aber ein kleines Dorf ist in besonders großer Not“, der Bericht beginnt so: „Es ist Abend in Neulewin. Draußen liegt das Land Brandenburg schon so dunkel, dass es Städter fast ein bisschen gruselt. Drinnen im niedrigen Gemeindesaal wird eine Bürgerversammlung abgehalten.“

Und im Text wird dann aufgezählt, wo es schwierig ist, ehrenamtliche Bürgermeister zu finden: „In Brandenburg … in sieben (7) Gemeinden, in Mecklenburg-Vorpommern in 22 und in Rheinland-Pfalz sogar in 465 Orten.“


Soweit die Splitter beispielhaft aus dem gegenwärtig alltäglichen Kontext. Welche Antriebe speisen nun mein Projekt Hinterlassenschaft I.?


Basierend auf den Projekten 2010/11 „Altenau - ein Dorf zeigt sich“ und 2019 „Fontane - er war nie hier“, die Bild- und Textkunst, reflexive und dokumentarische Sichtweisen, Biografsches und Visionen, Landschaft und die darin lebenden Menschen zum Inhalt haben und deren Ergebnisse in Ausstellungen und Büchern präsent waren und sind, will ich im Projekt

Hinterland* diese künstlerische Arbeit fortführen. Waren bisher die Grenzen durch die Region, sprich Heimatort und Heimatkreis gesetzt, in dem die Protagonisten zu Hause waren, versammle ich im neuen Projekt Menschen, die im Beziehungsgeflecht Kunsthof ALTENAU 04 erscheinen. Das meint nicht private Besuche, sondern trägt dem Rechnung, dass durch meinen Beruf eines Künstlers vielfältige Begegnungen quer durch alle gesellschaftliche Schichten stattfanden und -finden.


Gerade nach 30 Jahre geeintem Deutschland finde ich es wichtig, in der ersten Ausstellung im Mai 2020 stellvertretend Menschen aus den ehemaligen Altbundesländern zu Wort kommen zu lassen. Durch ihre Biografien und der Präsentation ihres kulturellen Kontextes leuchtet Gemeinsames sowie Trennendes auf und macht vielleicht für die Zukunft sichtbar, dass die Menschen hoffnungsvoller verbunden sind, als wir manchmal glauben.


Warum werden diese sechs Protagonisten im Hinterland I versammelt und was verbindet sich in diesen Biografien?


Da ist Detlef Attila Hecht, ein Freund aus Kinder- und Jugendjahren. Unsere Wege trennen sich. Manchmal kreuzen sie sich wieder. Wie im Fotoprojekt HEIMSTATTHEIMAT, in dem wir zu dritt - da ist A.H., ein Freund noch dabei - Dessau besuchen, der Stadt in der wir aufwuchsen, und uns auf fotografische Spurensuche nach vergangener Heimat begeben.


Als Detlef Attila von seiner gerichtlichen Vorladung wegen Rentenbetruges seiner verstorbenen Mutter erzählte, stellte sich heraus, wie einschneidend die Mauer, der eiserne Vorhang, unbemerkt ins Leben mancher eingegriffen hatte. (Ich habe diese Geschichte in WASWAEREWENN verarbeitet.) Plötzlich hatten die zwei Deutschlands auch namengleiche Mütter mit einem Sohn. Und das Amt im vereinten Deutschland konnte zwei Sterbeurkunden für eine Person nicht einfach zu den Akten legen.

Für mich ist Detlef Attila ein positiver Zeitgenosse, ein „Filou mit Herz“.


Da ist Horst Husemöller aus Lübbecke, ein Journalist, der in einer Nacht im Februar 1990 in Altenau aufscheint. Groß gewachsen, mit einer markanten dunklen Stimme ausgestattet, SPD nah - wir verstehen uns sofort, als würden wir uns Jahrzehnte kennen. Er macht uns mit seiner Heimatstadt bekannt. Er, der auch der Sänger der Band No Mercy (Die Gnadenlosen) ist, der Lokalredakteur ist dort stadtbekannt. In seiner Biografie dokumentiert sich für mich die „Heimkehr eines Revoluzzers“.

Er stellt uns seinen Freunden vor. Unter ihnen ein Steuerberater, der sich ebenfalls jeden Mittwoch im Probenraum der Band der Musik der Stones hingibt, sie leben läßt. Die Frau des Steuerberaters, eine Physiotherapeutin - erst sehr zurückhaltend, heute eine sehr gute Freundin - Pfarrerstochter, die sich von den Zwängen befreit hat, Mutter von zwei Kindern, hält die Familie zusammen. Genau wie es ihre Schwiegermutter Edith, heute 96 Jahre alt, es immer noch versucht. „Eine ganz normale deutsche Familie.“


Und da war auch die Tante genannte Waltraud Ruoff, 1918 geboren, in deren Biografie der „Leisen Botschaft“ sich die deutsche Geschichte eingegraben, ihr Leben dominiert hat, und die doch aus ihrem Beruf als Hebamme Lebenskraft geschöpft, darin Rettung und Halt gefunden hat. Mit schon brüchiger, leiser Stimme hat sie versucht, Botschaft zu geben.


Noch so ein Zungenschlag, gefunden 2019, eingekratzt in eine Bank, die in der Gedenkstätte, die an das Kriegsgefangenenlager Stalag IV B und dem nach Kriegsende eingerichteten Speziallager 1 erinnert, aufgestellt wurde. Unverbesserliche und unbelehrbare Geister treiben schon wieder ungestraft ihr Unwesen.
























Und zum Genannten formulieren sich für mich sehr persönliche Fragen: Was haben die sogenannten kleinen Leute in der Geschichte zu suchen? Was hat ein Proletensohn in der Kunst zu suchen? Mag jeder Antworten nach seiner Fasson finden und wer die wahren Antworten findet, ja der…


* Hinterland bedeutet - einen Anker der Vergangenheit gegenwärtig in die

Zukunft werfen

Hinterland bedeutet - hinter den Horizont zu blicken

Hinterland bedeutet - unterm Radar nachzusehen

Hinterland bedeutet - jenseits vom Abseits nachzuforschen

Hinterland bedeutet - Netzwerke flicken ( im Sinne der Netze flickenden

Fischer zur Bewahrung des Gebrauchsfähigen)


Demokratie - Geschichte ist durch Geschichten zu begreifen.

Empathie erzeugt durch Erfahren des Schicksals anderer.

Paul Böckelmann im April 2020