Für 2023 bereiten die Galerie ALTENAU 04 und ArtAue e.V. zwei Ausstellungen mit Malerei von Paul Böckelmann und plastischen Arbeiten von Gästen vor.
In der Septemberausstellung wird Julia Schleicher/ Halle Plastiken zeigen.
Eröffnung 26. August 2023
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Der Verein ArtAue e.V. veranstaltet 2023 eine Ausstellungsreihe, die Malerei und Plastik vereint. Dass die Wahl auf Plastik fiel, ist auch dem Projekt NUMMER EINS verpflichtet. Auf dem zu entwickelndem Areal der Dorfstraße 1 in Altenau, einem ehemals bäuerlicher Dreiseithof entwickelt der Verein einen Skulpturengarten. (Siehe Anhang)
Das Jahr 2023 steht unter dem Motto „Figur und Kreatur“. In beiden Ausstellungen werden Plastiken zweier Hallescher Künstlerinnen - ab Mai Christin Müller und ab September Julia Schleicher - im Kontext der Malereien von Paul Böckelmann gezeigt.
Paul Böckelmann
Julia Schleicher
Böckelmann/Schleicher/Altenau/Laudatio von Heinz Weißflog
Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde des ArtAue e. V., liebe Gäste aus nah und fern, liebe Julia Schleicher, lieber Paul Böckelmann und Elke!
Mensch und Tier haben die gleichen biologischen Wurzeln. Im Tier erkennt der Menschen einen wesentlichen Teil von sich selbst. In der Kunst dient das Tier oft als Spiegel, wie in Äsops, Lessings und La Fontaines Fabeln. Eindruck, Habitus und Verhalten des Tieres werden vom Menschen interpretiert, gedeutet und über einen komplizierten Mechanismus, zum Beispiel der Mythologisierung, ins Menschliche übertragen. Oft bemerkt der Mensch an sich selbst Wesenszüge des Tieres. Über Jahrtausende ist der Mensch mit dem Tier vertraut, teils als gezüchtetes Haustier, Jagd, Luxus-oder Nutztier und hat sich durch Beobachtung und dem Leben mit ihm fortwährend neue Kenntnisse angeeignet. Dabei stehen die einzelnen Tiere für die ganze Palette menschlicher Gefühle, Stimmungen, Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften und werden aus der archaischen Erfahrung zu deren Repräsentanten. Schlau wie ein Fuchs, frech wie ein Spatz, dumm wie eine Kuh, arm wie ein Hund, blöd wie ein Schaf, zickig wie eine Ziege, aufgeblasen wie ein Frosch, stolz wie ein Löwe, schlank wie ein Reh, heißt es im deutschen Idiom. Der Vergleich mit dem Tier geht ins Unendliche. Die Ethnologie (die vergleichende Völkerkunde) hat davon einen großen Vorrat angesammelt und für jede Region der Erde solche sinnfälligen Aussagen dokumentiert und interpretiert. Die Tierfabel ist über die ganze Welt verbreitet und ein wesentlicher Fundus für das komplexe Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Die enge Beziehung zwischen Mensch und Tier hat von anfang an existentiellen Charakter: Neben dem Tier als Gottheit, als Ahne oder Schutzgeist, haben sich viele Völker ein Tier zu ihrem Leitmythos gemacht, wie im Totemismus, bei dem eine fiktive Verwandtschaft zwischen Tier und Stamm angenommen wird. (das führte zu einer Verehrung der jeweiligen Tierart, die Achtung und Furcht einschlossen und, wir würden heute sagen, zu einem„ökologischem Schutzmechanismus“, der beide Seiten betraf). Die Tiermagie umfasst dabei Schutzfunktion, Verbote und Tabus, positive und negative Kräfte, die nach Ausgleich und Harmonisierung streben. In Sigmund Freuds „Psychoanalyse“ wird das Verhältnis Mensch-Tier tiefenpsychologisch interpretiert. Auch in den Mythen und in der Literatur leben Seele und Wesen des Tieres fort. Bei Griechen und Römern, aber auch bei den Ägyptern gab es Tierwesen und deren Metamorphosen, die eine auch äußerlich enge Verbindung mit dem Menschen eingingen: Darunter Minotauros, die Centauren, Pan, minoischer Stier, Pythia u.a.. Im dem großen, die Antike, das Mittelalter und die Neuzeit zusammenfassenden Gedicht des Florentiners Dante Alighieri aus dem Jahr 1300 verfolgen den suchenden und verirrten Weltenwanderer in einem dunklen Walde drei bedrohliche Tiere, die für die drei Todsünden stehen: Löwe (Stolz), Wölfin (Gier) und Pardel (Wollust) und treiben ihn in die Hölle, wo ihn Virgil bereits erwartet. Dort warten auch tierähnliche Wesen wie der Geryon, eine Mutation aus Reptil und Mensch, Vogelbäume und Vogelmenschen, beköpfte Hydren und anderes Menschgetier. Selbst der Teufel trägt tierische Merkmale wie Hörner und Pferdefuß.
In der zeitgenössischen Bildhauerei erleben Tierbilder im Rahmen des Weltzusammenhanges von Mensch und Natur eine Renaissance. Markante Tierplastikerinnen und Tierportätistinnen wie die Österreicherin René Sintenis und die Dresdnerin Etha Richter haben die Kunst des 20. Jahrhunderts mit ihren realistischen Arbeiten in Bronze, Keramik und Porzellan bereichert. Der Wachwitzer Maler, Grafiker, Dichter und Plastiker Klaus Drechsler hat einen wichtigen Beitrag zur schöpferischen Beseelung der Bronze-Kleinplastik geleistet. Seine anthropogenen Tierauffassungen sind spitzbübische Hommagen an die Natur des Menschen, dessen Affekte, Neigungen, Marotten und individuelle Gefühlsregungen im Tier schalkhaft durchblitzen. Sie sind bildgewordene Fabeln, in denen der Künstler das Allzumenschliche aufs Korn nimmt.
Die Bildhauerin Julia Schleicher aus Halle erstellt in ihren vorwiegend figürlichen Metall-Plastiken, Holz-und Stein-Skulpturen animalische Porträts von Mischwesen aus Mensch und Tier. Menschliche und tierische Gestalt werden zu Fantasiewesen in vielfältigen Metamorphosen verschmolzen, die zum Teil mit menschlichen Attributen und Kleidung „zivilisiert“ sind. Dabei projiziert Julia Schleicher menschliche Gefühle auf das Tier. In einer Serie mit der Hirschkuh „Eugenia“ (griechisch: die Wohlgeborene) zelebriert sie die figürliche Verfremdung. Gehüllt in einen Mantel aus Pelz, der, sacht geöffnet, die Brüste freigibt. steigert sich die 2017 entstandene Figur aus Aluminumguss zu einer besonderen sinnlich-erotischen Herausforderung. Auch die Serie „Paradiesvögel“( I-V, 2017) verbreitet Pracht, Würde und Erhabenheit, die in dem medaillonhaften Rundbild ein auf einem Ast sitzenden, prachtvoll beschwanzten Vogel zeigt. In der Serie „Eisen“ (2012) werden Fragmente menschlicher Körper in den Raum gestellt, die eine seltsame, fast gymnastische Form und Gestalt ergeben und mit ihrem Sockel kreatürlich geerdet und verbunden bleiben. Mumienartige Kokkon-Verpuppungen aus Eisen und Gips sind in einer setzkastenählichen Installation mit Regalarrangements zur öffentlichen Schau eingeschreint und haben Fundstückcharakter, die auch dem wissenschaftlichen Archiv eines archäologischen Depots oder Museums ähneln. Eine große Betongussplastik steht im Mittelpunkt der Ausstellung: Eine Figur mit dem mächtigen Gehörn eines Widders oder Steinbocks, seit Mesopotamien, uralt-mythisch, ungeheuerlich, biblisch (Abrahams Ersatzopfer für Isaak), dominiert als Solitär den Raum. Kleinere Bronzen setzen die Mensch-Tier-Verwandlungen spielerisch fort, darunter „Schafsmann“ in turnender Bewegung, „Hirschkuh“, die Beine gymnastisch-angewinkelt, „Schakal“ in sitzender, gespannter, diskussionsbereiter Pose. sowie „Ziegenmann“.
Zu der Absicht ihres künstlerischen Tuns sagt Julia Schleicher: „Die Erzeugung von Fleischlichkeit und Verletzlichkeit der Kreatur ist ein zentrales Anliegen meiner Arbeit, um somit eine Identifikation mit der Figur beim Betrachter zu erzeugen. Die Begegnung mit der Andersartigkeit ist für den Menschen eine Herausforderung und die Fantasien darüber machen mich neugierig. Widersprüchliche Gefühle, wie Neugier und Angst, Freude und Unbehagen dem Fremden gegenüber versuche ich in meine Arbeit mit einfließen zu lassen“. Julia Schleicher hat an der HfBK Dresden von 2003-2007 Theaterplastik und von 2007-2012 an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle Bildhauerei bei den Professoren Bernd Göbel und Bruno Raetsch studiert. Für ihre hochsensible, eigenwillige künstlerische Auffassung und materielle Umsetzung in der figürlichen Bildhauerei erhielt sie mehrere Stipendien im Inn-und Ausland sowie 2014 den Gustav-Seitz-Preis der gleichnamigen Stiftung in Hamburg.
Der Maler, Grafiker und Bildhauer Paul Böckelmann aus Altenau liebt das Unfertige, Zufällige, das Danebenliegende, das er zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Arbeit nimmt. Er gibt in ihr einen kraftvoll-sensiblen Kommentar zum Leben ab, das er in all seiner Tiefe, seinem Schrecken und seiner Schönheit liebt und genießt. Sein Lebens-und Arbeitsmotto „Dreck ist ein fruchtbarer Boden“ ist geradezu der Weg, der zur „bildnerischen Erkenntnis und einem Erkennen menschlicher Psyche durchs Bildwerden führen kann“, schreibt er in einem Statement. Unter dem Titel der Ausstellung „tiermenschlich“ zeigt er in dieser Ausstellung eine Auswahl von Farbgrafiken und Malerei des homo animalis sowie Tierbilder. Die menschliche Figur (besonders die männliche) tritt in allerlei physischen Verwandlungen und Heftigkeiten auf. Ein Netz von Linien durchfurcht, umschwirrt und umschreibt den Körper wie elektrische Felder; Blutgefäße, Organe, Nervenbahnen und Muskeln werden angedeutet. Die Figur wird zum existentiellen Ur-Schrei, den „Oh Mensch“-Ruf des Expressionismus temperamentvoll aufnehmend und auf eigene Weise fortschreibend. Auch eine Ruppigkeit der Darstellung beherrscht das jeweilige Bild, kraftvoll, manchmal brutal. So marschiert eine unheimliche, nicht näher bestimmbare Soldateska mit Helm und Montur auf, bereit für Krieg und Totschlag. In den die „niederen Instinkte“ aufrufenden Körperbildern herrschen Ursprünglichkeit, Gewalt, Zerstörung: Gleichzeitig aber auch Kraft und Kreativität, als Gegenstück spielerische, erfinderische, kindhafte Männlichkeit, wie sie sich auch im Bau-und Gestaltungs-Elan des universalen Künstlers und Handwerkers Böckelmann vor Ort manifestiert. Die Tierbilder, vom nassen Farbfleck aus entwickelt, springen den Betrachter an. Da herrschen katzenhafte Bewegung, Archaik und höhlenmalerische Reduktion von Form, Gestalt und Körpersprache. Aber auch Magie und bildnerische Treffsicherheit. die auf den Punkt gebracht und dem Leben abgelauscht, die Tiersprache sprechen. Paul Böckelmann hat an der HfBK Dresden von 1977-82 bei Professor Gerhard Kettner studiert und ging bald darauf in die Brandenburgische Provinz. 1980 übernahm er den alten Pfarrhof von Altenau, baute und gestaltete ihn zum Künstlerhof um, schuf für sich, seine Familie und seine Freunde, aber auch für ein breites Publikum aus nah und fern und nicht zuletzt für den Ort seines Wirkens einen „Weltmittelpunkt“.
Ich danke Ihnen!
Heinz Weißflog