Zu den Fotos

Danke an ERNA & Paul Böckelmann für die Einladung, hierher zu kommen und ein paar Gedanken  zu dieser Ausstellung beisteuern zu dürfen. Durch das Vorgespräch mit Ernst Petras wurde natürlich auch ich angeregt über das Quadrat nachzudenken. Ernst hat da etwas Vorsprung – er macht das als Künstler nun seit etwa 15 Jahren. 


Diejenigen, die ihn kennen, werden seine Erzählung über seinen ganz persönlichen Initialmoment vielleicht schon an anderer Stelle gehört oder gelesen haben. Es war also nur kurze Zeit nach dem so genannten zweiten Libanonkrieg, als Ernst Petras sich aufmachte, vom beschaulichen Nordberliner Umland nach Beirut zu gehen, um dort künstlerisch zu arbeiten und zu leben. Mitten hinein also in eine von Zerstörung noch gezeichnete Stadt, wo staatliche Ordnung sich wesentlich instabiler zeigt als man es als Mitteleuropäer gewohnt ist. Kulturell natürlich ungeheuer anregend und anziehend, ein kosmopolitischer Schmelztiegel, ein Paris des Nahen Ostens, ein Ort mit mediterranem Licht und architektonischer Pracht. Ernst Petras kam in einer Phase des Wiederaufbaus in die Metropole, das kulturelle Leben expandierte wieder, die Zahl der Galerien stieg kontinuierlich. Trotzdem hatte so etwas wie Normalität im Alltag in dieser Zeit keine Chance, ebenso wenig wie heute. Militärische Totalüberwachung thronte sichtbar über allem, man konnte nicht einfach fotografieren was man wollte, ohne Gefahr zu laufen verhaftet zu werden. Auch Extremmomente gehörten zum Leben in Beirut einfach dazu, etwa wenn mal wieder uniformierte Einheiten in das Viertel einfuhren, scharf schossen und man tagelang das Haus nicht verlassen konnte. 


In dieser existenziellen Situation besann sich Ernst Petras auf eine einzige Elementarform, er fokussierte sich in seiner Arbeit ausschließlich auf das Quadrat. Ein innerer Impuls, vielleicht eine ästhetische Zuflucht. Mir erscheint das sehr nachvollziehbar. Diese Form in ihrer ausgeglichenen Statik und Symmetrie wirkt geradezu unantastbar stabil. Das Quadrat hat so etwas wie eine zwingende faktische Kraft, etwas Manifestes, etwas an dem nicht weiter gerüttelt werden kann. Ungerichtet und universell ruht das Quadrat in sich selbst, etwas geradezu Überirdisch Perfektes zeigt sich ganz augenscheinlich im Hier und jetzt. Dieses Perfekte kommt so in der Natur nicht vor - von ganz wenige Ausnahmen im kristallinen Bereich abgesehen. Wollen wir ein Quadrat erschaffen, müssen wir es konstruieren, denn das Quadrat ist eine Idee. Am Quadrat erleben wir Menschen am stärksten unseren eigenen reflektierenden Geist., der diese Form leicht aus einer chaotischen Umwelt herausfiltert, sie dechiffrieren kann, sie erkennt und liest. Das Quadrat schaut uns an.  


Es geht also auch etwas Sakrales aus von dieser Form, in vielen Kulturen gehört es zu den archaischen Symbolen. Ein Quadratischer Grundriss in der Architektur hat immer etwas Kumpelhaftes. Die gotischen Baumeister begannen eine Kathedrale mit dem Quadrat der Vierung und entwickelten daraus ihre kreuzförmigen Monumentalen Baukörper. Vierung – das Wort weist auf die mathematische Entsprechung hin – die Zahl Vier wird verkörpert – Geviert – so der alte nicht-lateinische Name des Quadrates. 


Während in manchen indigenen Kulturen der ganze Kosmos als quadratisch angesehen und dargestellt wurde, steht es im christlichen Kontext für das Irdische, die Erde. In der christlichen Ikonografie gibt es Darstellungen mit quadratischem Heiligenschein anstatt des Runden. Damit wollte man ausdrücken dass diese Figur noch nicht dem Himmelreich angehörte sondern hier unten wandelte.    



Das Quadrat ist eigentlich so wirkmächtig als Form, dass es keinen weiteren Inhalt braucht, um Bedeutung zu verheißen –  es ist etwas Absolutes und also kein Zufall dass es in der Moderne, wo die Bildende Kunst zu sich selbst fand in ihrer Essenz, eine so große Rolle spielt. Diese Moderne erhob das Quadrat im 20. Jahrhundert zu ihrer Ikone und wollte von ihm erlöst werden. Theo van Doesburg, Impulsgeber der konstruktivistischen Kunst formulierte: 


Was das Kreuz für die frühen Christen darstellt, repräsentiert das Quadrat für uns.
Das Quadrat wird das Kreuz erobern. 


Wenn wir uns umschauen, dann hat es das wohl tatsächlich, aber sicher in einem anderen Sinne als es van Doesburg, Mondrian, die Bauhausmeister oder die Architekten der Gläsernen Kette postulierten. Das Quadrat wurde aus diesen geistigen Zusammenhängen herausgelöst und reduziert zum technologischen zum effizienten, zum zweckrationalen Standard. 


Das Quadrat lässt das irdische Unwägbare Organische wilde ungeordnete Leben beherrschbar erscheinen, es ist ein Werkzeug, es verkörpert das Konstruktive Schaffen des Menschen. Mit dem quadratischen Raster wird die Welt planbar und bebaubar, Bodenschätze und gegnerische Territorien werden mit quadratischen Rastern kartiert, erschlossen, eingehegt, erobert, abgewickelt. Aus Quadratischen Pixeln wird unsere mediale Wirklichkeit, unser Platonisches Höhlenkino erschaffen.  

zurück zur Kunst – zurück zu Ernst Petras 


Quadratische Kuben waren für ihn in Beirut der Ausgangspunkt, diese Würfel begann er irgendwann zu zerschneiden, sie aufzubrechen – als gegenteiligen Prozess zum konstruktiven Erschaffen. Und das dabei entstehende immer noch quadratische Fragment-Material fügte der Künstler in ungeordneter Vertikalität zu turmartigen Plastiken, den Cube Towers. Jedes einzelne Segment immer noch ein stabiles Quadrat, im Ganzen aber eine brüchige Dynamik ausrückend – es geht nicht länger aufwärts, der Turm stürzt ein, kann man assoziieren. 


Das Erlebnis Beirut wirkte sich, so berichtet er, auch nach der Rückkehr nach Deutschland fort – strukturierte Arbeit half ihm es zu verarbeiten. Die Skizzenbücher waren voll und die darin festgehaltenen Ideen wollten ausgeführt werden – in seinem hauptsächlichen Material Stahl. 

  

Ein zweiter längerer Auslandsaufenthalt schloss sich an, Caracas in Venezuela – erneut eine unsichere und politisch instabile Metropole und mindestens ebenso interessant. Wieder reiste er zunächst privat und fand wiederum hervorragende Arbeitsbedingungen, vor Ort wurde er eingeladen in einem Kunstzentrum mit angeschlossenen Ateliers quasi wie ein Artist in residence – zu arbeiten und auch in einem Museum für zeitgenössische Kunst auszustellen. In Caracas entstanden viele weitere Plastiken aus quadratischen Segmenten – die Cut Cubes. 


Nun also keine Türme, sondern wiederum kubische Formen, aber nicht geschlossen, sondern aus den quadratischen Schnittfragmenten zu neuen ungerichteten chaotischen Clusterungen zusammengesetzt – Die Linien überschneiden und durchdringen sich –  dynamisieren den leeren Raum den sie als Rahmen umschließen, ermöglichen eine Fülle von Blickbezügen zwischen Plastik und dem sie umgebenden Raum.  

Der umschlossene leere Raum – das Nichts - wurde für Ernst Petras zum bestimmenden Thema in der weiteren Arbeit am und mit dem Quadrat. Nach der Rückkehr nach Deutschland entstanden Arbeiten die er mit Nix Cubes betitelte. 


Das Quadrat hat eben auch das Potenzial uns mit der Leere zu Konfrontieren.    
Ich möchte da ein kleines Erlebnis schildern – Vor kurzem macht eich einen abendlichen Spaziergang in meinem Wohngebiet –  und im Vorbeigehen Blick mein Blick unwillkürlich und magnetisch an einer Formation von Wandnischen hängen. Ich schaute dorthin
als ob dort eine Botschaft zu empfangen wäre, wusste aber nicht warum ich genau dorthin sah. Denn da war nichts, nur eine simple Reihung von Kellerfenstern in einer Neubaufassade, aber es waren quadratische Wandnischen mit quadratischen Kellerfenstern auf denen quadratische Gitter als Partialform auftraten. Was für eine geheimnisvoller geistiger Magnetismus – wonach suche ich als Mensch in so einem Moment ?

Diese Wirkmacht des Quadrates kennt und nutzt ja auch die Werbeindustrie, viele erfolgreiche Marken treten mit quadratischen Logos auf. Gerade weil das Quadrat als Form so mächtig ist, kann es uns die Leere vor Augen führen, nicht nur bei einer aufgeblasenen Marke, auch in der Kunst, auch bei Ernst Petras' Plastiken.  

Einen dritte Gruppe von Werken möchte ich ansprechen. Nach den Türmungen und Schichtungen schuf Ernst Petras auch ausladende luzide Kugelformen aus vielen miteinander verwobenen Rundstahl-Quadraten, in der Mitte dieser Kugelform ( Globe Cube ) euchtet ein schief gestelltes Parallelogramm, das wir unschwer als Hashtag-Raute erkennen. Dieses ein sehr eindrückliches Bild – für die verzahnte und rhizomartig verbundene Weltgesellschaft, die sich mächtige Kommunikationstechnologien erschafft, von der sie dann beeinflusst, gelenkt und auch beherrscht wird. 

  

Und wo wir bei der Weltkugel sind soll auch die neueste Arbeit hingewiesen sein, vor kurzem erst fertiggestellt. Wir finden in auf dieser Arbeit Wortprägungen in mehreren Sprachen, in arabisch, hebräisch und deutsch. Das dargestellte Wort ist das Wort -Ernst-   

Ja die Situation ist ernst.

Beirut und Caracas sind wieder Kriegs- und Krisengebiete.
Die Quadratur des Kreises ist bis heute nicht gelöst.

Den Himmel auf die Erde zu holen, bleibt eine Aufgabe.


Und dass Ernst Petras noch einmal den Titel dieser Arbeit abgeändert hat finde ich schön.

Erst hieß es „The Game is over“ - aber nun lesen wir „It's never to late“.


Für die Kunst sowie so nicht. 


Jörg Wunderlich