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Rede, gemeinsam gehalten von Dr. phil. Gerlinde Förster und Dr. sc.phil. Ingrid Koch, zur
Eröffnung der Ausstellung „tief – flach – hoch“ in Altenau 04 am 5. Mai 2024



Gerlinde Förster 

Die Vitrine am Eingang zeigt verschiedene Werkzeuge, die für den Handdruck in verschiedenen Techniken gebraucht werden. Es soll jetzt noch nicht darum gehen, über diese Werkzeuge und wie sie gebraucht werden zu sprechen. Besser ist es, dies in individuellen Gesprächen zu tun. Aber diesen auf das Handwerkliche einstimmenden Auftakt will ich zumindest skizzenhaft in einen etwas größeren Zusammenhang stellen. 

Die fürs Drucken nötigen Werkzeuge führen in eine lange Geschichte. Immerhin hängen die ältesten Vervielfältigungstechniken mit aus Holz geschnittenen Stempeln zusammen. Denn, noch bevor die Chinesen vor 2000 Jahren das Papier erfanden, nutzten die Ägypter und Babylonier Stempel, um ihre Botschaften durch Drücken in weichen Ton zu reproduzieren. 

Und immer gab es neue, einschneidende Entwicklungen: Gutenbergs revolutionäre Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern ist eine. Dürer ist vor allem zu nennen. Seine Kunst hat den Holzschnitt und Kupferstich auf diesem Hintergrund dieser Veränderung als freie künstlerische Äußerung zur Geltung gebracht. Eine Blütezeit für die Radierung ist Rembrandts Kunst Mitte des 17. Jh. zu verdanken. Senefelders Erfindung der Lithographie 1789 wirkt in der Zeit der industriellen Revolution folgenreich. Sie wird zum Vervielfältigungsverfahren auf ganz neuen Gebieten (Zeitschriften, Noten, Werbung etc.). Ziemlich schnell entdeckte Goya mit der Kreidelithographie die neue Technik für seine künstlerischen Anliegen. Gleiches gilt für Delacroix, Daumier, Steinlen und viele andere. 

Heute gehören die künstlerischen Drucktechniken des Hochdrucks, Tiefdrucks, Flachdrucks, Durchdrucks mit ihren ganzen Mischformen zur europäischen Kultur und Wissensgesellschaft und sind als Immaterielles Kulturerbe von der UNESCO anerkannt.

Aber zurück zum Ausstellungstitel: Seine Wahl ist gewiss kein Zufall:
ein Anliegen steckt dahinter, und es hat zu tun mit der heutigen Zeit, ihrer Bildüberflutung, der weitreichenden digitalen Bildverfügbarkeit, der Manipulierbarkeit bis hin zum vermeintlich neuen Zauber – künstliche Intelligenz.

"Druckkunst digital" heißt eine Ausstellung, die zeitgleich zu „tief – flach – hoch“ in
Altenau der Verein Berliner Künstler gegenüber der Nationalgalerie im Mies-van-der-Rohe-Bau zeigt. Ziel ist, wie sie schreiben, die Vielfalt und Innovationen des Digitaldrucks, der zunehmend traditionelle Druckverfahren ersetzt, ins Licht zu rücken und das traditionelle Medium des Drucks in das digitale Zeitalter zu überführen.

Na ja, es war schon immer so: jede Bewegung hat auch eine Gegenbewegung, die sich behauptet. Beweis dafür sind die zwölf eingeladenen Künstlerinnen und Künstler – und damit eine hochkarätige Künstlerschaft, die das Handwerk der druckgrafischen Verfahren „tief – flach – hoch“ meisterhaft beherrscht bzw. beherrschte, denn die großartige Ellen Fuhr ist in dieser südbrandenburgischen Kunstoase leider selbst nicht mehr dabei. Was wir von ihr hier haben ist eine starke künstlerische Position in der Druckgrafik, im Holzschnitt. 


Ingrid Koch 

Anfügen möchte ich, dass das grafische Schaffen dieser Zwölf (bis auf eine Ausnahme) in Ostdeutschland seine Wurzeln hat. Ihr Wirkungsraum allerdings weist gleichwohl über den Osten hinaus. Arbeiten der Künstler sind in Museen und privaten Sammlungen in ganz Deutschland und im breiteren Maßstab als vor 1989 auch im westlichen Ausland verankert.  

Die Schöpfer der hier gezeigten Grafiken gehören überwiegend einer Generation an, die ihre Ausbildung noch zu DDR-Zeiten, etwa an der Hochschule für Bildende Künste Dresden sowie der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig absolvierte. Einige Jüngere wiederum studierten schon unter Bedingungen, in denen die Hochschulen sich wandelten, dem bundesdeutschen System anglichen. Zugleich konnten sie aber noch von den Erfahrungen einer Reihe Professoren profitieren, deren Künstlerleben sich schon großteils zu DDR-Zeiten abgespielt hatte. Zudem konnten diese Jüngeren im Studium oder kurz danach viele neue Möglichkeiten nutzen, sich anderweitig umzusehen.

So ist das grafische Schaffen der hier betrachteten Künstler gewissermaßen eingebettet in eine Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität – auch was die Verankerung im Kunstgeschehen des vereinigten Deutschlands betrifft. Gleichwohl ist an den Arbeiten das Wirken einer grafischen Tradition zu spüren. Festzustellen ist wohl zu Recht – ich knüpfe damit auch an eine Äußerung von Werner Schmidt in einem Gespräch mit Lothar Romain an (Kunst in der DDR, Hrsg. Eckhart Gillen und Rainer Haarmann, Kiepenheuer & Witsch 1990, S.88f) -, dass die Grafik in der DDR einen gewichtigeren Platz in der Öffentlichkeit als im Westen eingenommen hat. Dem steht keineswegs der Umstand entgegen, dass es dort natürlich ebenso bedeutende Grafiker gab, die wie HAP Grieshaber auf viele der hiesigen Künstler ausstrahlten. 

Geht man diesem Gedanken nach, dann stößt man auf MEHRERE  ASPEKTE, die in einer Kunstmarkt-getriebenen Welt, wohl eher weniger Bedeutung haben:

Zum einen wäre da das GESELLSCHAFTLICHE  ANLIEGEN, was ja auch eine zutiefst demokratische Seite hat, Kunst unter einem breiten Kreis von Interessierten, die gleichwohl nicht so betucht sind, für kleines Geld zu streuen und damit zugleich das „Sehen“ zu entwickeln sowie das Bedürfnis nach etwas Individuellem zu befriedigen. 

Unter anderem spielte der Jugendklub des Kupferstich-Kabinetts – dieses edierte selbst Vorzugsdrucke - eine wichtige Rolle, auch der staatliche und genossenschaftliche (Kunst der Zeit) Kunsthandel, ebenso Kunstauktionen, etwa auf Pressefesten, regelmäßige Grafikmärkte wie in Dresden oder das Angebot über Zeitschriften wie „Kultur im Heim“. Speziell für diesen „Verbreitungs“-Zweck arbeiteten viele Künstler gern.

Ebenso gab es natürlich zahlreiche AUFTRÄGE von Betrieben und Institutionen für die Ausstattung ihrer Räume. Auch dies gehörte zum künstlerischen Alltag und zur Sicherung des Lebensunterhalts von Künstlern.

Im Kontext dieses Schaffens entstand – neben den traditionellen Werkstätten an Hochschulen, wo in Dresden etwa die Ehrhardts als Drucker für Dix wirkten - auch eine INFRASTRUKTUR. Zu nennen wäre für DRESDEN die GRAFIKWERKSTATT, mit der unter anderem Namen wie Elly Schreiter, Werner Wittig, Claus Weidensdorfer verbunden sind. Sie war zunächst eine Verbandsinitiative, ging dann an die Stadt über und existiert bis heute als vielgefragte Einrichtung. Ähnliches entstand beispielsweise 1954 in Berlin auf Initiative Arno Mohrs.

Ende der siebziger Jahre (1978) wurde zudem in Dresden die „OBERGRABENPRESSE“ aus der Taufe gehoben, und zwar von Eberhard Göschel, dem Dichter Bernhard Theilmann und Jochen Lorenz als Drucker. Diese Initiative, die immerhin bis 2008 wirken konnte, war, schon weil sie auch Texte veröffentlichte, immer ein wenig am Rande des Verbots. Hinzu kam, dass hier – solange sie noch da waren – unter anderem Penck und Peter Herrmann arbeiteten. Gleichwohl insgesamt entstanden in der „Obergrabenpresse“  zahlreiche Mappen, darunter auch einige in Zusammenarbeit mit der e i k o n GRAPHIKPRESSE, die von Rudolf Mayer vom Verlag der Kunst herausgegeben wurde. Unter anderem ließ dieser hier von den im Stadtmuseum eingelagerten Platten Hans Körnigs eine Mappe drucken, was ein Wagnis und ein Verdienst war, weil dessen Werk, seitdem er 1961 wegen des Mauerbaus im Westen geblieben war, sich eigentlich unter Verschluss befand. 

Zur Grafikinfrastruktur im Osten, die hier insgesamt natürlich nur beispielhaft umrissen ist, gehört selbstverständlich ein Feld von Wettbewerben, darunter etwa der um das „Schönste Buch“ zur Leipziger Buchmesse oder um die „100 ausgewählten Grafiken der DDR“ oder die Leipziger Grafikbörse. Nicht unterschlagen werden soll, dass die DDR-Kunstausstellungen einen speziellen Grafikteil hatten. Erfreulich ist, dass manche dieser traditionellen Veranstaltungen, etwa die seit den 1970er Jahren realisierte Leipziger Grafikbörse oder auch der Wettbewerb um die 100 Grafiken nun als sächsische Veranstaltung überdauern konnten. 

Und es gibt auch neue Entwicklungen: wie das Leipziger Museum für Druckkunst.

Ebenso hat sich der Rahmen für die Künstler erweitert: Über Austausche/Arbeitsstipendien gelangt sächsische Grafik, repräsentiert durch einzelne Künstler, nach Tidaholm in Schweden oder auch zur Zygote Press in Columbus/USA oder nach Griechenland oder, oder ….Die Rolle der Arbeitsstipendien ist für den internationalen Austausch nicht zu überschätzen. Gleiches gilt für die Ausweitung des Feldes der Wettbewerbe. Die auswärtige Anerkennung folgt mitunter auch – beispielhaft genannt sei die Verleihung des Felix Hollenberg Preises durch das Museum Albstadt an Kerstin Franke-Gneuß.


Gerlinde Förster 

Ingrid Koch sprach darüber, dass sich das grafische Schaffen der hier betrachteten Künstlerinnen und Künstler gewissermaßen in einer Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität herausgebildet hat. Ja, und die Dresdner Kunsthochschule spielt hier eine besondere Rolle: Viele von ihnen haben auf der Brühlschen Terrasse studiert, davon Paul Böckelmann, E.R.N.A., Steffen Fischer, Ellen Fuhr, Elke Hopfe und Gudrun Trendafilov bei
Gerhard Kettner. Sie sind stolz, bei ihm gewesen zu sein, und Kettner selbst sagte einmal, dass er ein bißchen stolz sei, „ dass man Kettner-Schüler nicht an der Stilistik erkennt“. 

Der prägende Einfluss dieses bedeutenden Zeichners und viel zu früh verstorbenen Lehrers von Künstlerinnen und Künstlern aus verschiedenen Generationen hat sich demnach auf andere Weise vermittelt. Wie war Kettner, was machte ihn aus, woran machte er seine künstlerische Vergewisserung fest? Lothar Lang schrieb in der Jahresgabe der Pirckheimer Gesellschaft von 1996 über Kettner, er habe die Lithographien von Karl Hofer und Käthe Kollwitz befragt, die Lineaturen der „Shelter Drawings“ von Henry Moore und die Figuren von Alberto Giacometti studiert, und er war bei Max Schwimmer und Hans Theo Richter in die Schule gegangen.1 

Betrachte ich seine meist kleinen Blätter, in denen er mit jedem seiner Striche gelebtem Leben – den Menschen - nachspürte, werden sie groß in ihrer Wirkung. Er wollte nicht erzählen. Es ging ihm um das Eigentliche, um das Wesen seines Gegenübers. Ihn interessierten Menschen und was mit ihnen ist. Erfassen wollte er über das physische Äußere das Seelische. So gleichen seine Porträts zwischen Stirn und Kinn eigentlich gezeichneten Lebenslandschaften. Und hier scheint Kokoschka in der Traditionslinie auf, dessen künstlerische Aura zur Zeit Kettners in den Mauern der Hochschule auf der Brühlschen Terrasse gewiss latent weiter wirkte. Gleiches gilt für den Expressionismus der Dresdner „Brücke“ wie für den der zweiten Generation – versammelt in der „Sezession Gruppe 1919“ mit dem jungen Dix, Felixmüller, Böckstiegel, Lasar Segall, Mitschke-Collande, später auch den Bildhauern Eugen Hoffmann, Christoph Voll, präsent unter anderem in der Galerie Emil Richter auf der Prager Straße. Ihr Sprachrohr war die teilweise vom Holzblock gedruckte Zeitschrift „Neue Blätter für Kunst und Dichtung“, in der Will Grohmann zum Verteidiger und Vermittler der modernen Kunst wurde und den dreißigjährigen kriegstraumatisierten Dix als erster bekannt machte. 

Zurück zu Kettner: Seine Menschenkenntnis war bekannt. Er war offen, wollte verstehen. Seine ruhige Stimme im Zigarrenrauch, die einfache, dabei treffende Sprache, sein Sinn und seine Toleranz für Neues kamen den Jüngeren in ihrem suchenden Ausdruckswollen auf natürliche Weise entgegen und machten ihn, nicht zuletzt durch sein kunstgeschichtliches Wissensfundament zum glaubhaften Partner für höchst unterschiedliche Temperamente.

Im Zusammenhang mit seinen Studenten sagte er einmal, dass er glaube, dass das ihm wichtige ethische Prinzip der Verantwortung geistig weitergetragen wird, selbst wenn es sich optisch anders äußert. Von den hier vertretenen Kettner-SchülerInnen weiß ich aus verschiedenen Äußerungen, dass sie sich zu diesem ethischen Prinzip der Verantwortung bekennen. Auf völlig verschiedene Weise als Haltung spürbar wird dies in ihrem bildnerischen Schaffen.2


Ingrid Koch 

Wenn man sich die Frage nach dem Fortleben einer Haltung, wie sie Gerhard Kettner eigen war, und damit einer künstlerischen Tradition stellt, so muss man unbedingt ELKE  HOPFE herausstellen – dies besonders auch deshalb, weil sie in der Nachfolge ihres einstigen Lehrers zwischen den frühen 1990ern und 2010 als Professorin an der HfBK Dresden wirkte. Wie über Jahre, ja Jahrzehnte, zuvor Kettner wurde die passionierte Zeichnerin zu einer Orientierungsgröße für zahlreiche Studenten, darunter die hier ebenfalls in der Ausstellung vertretene Tanja Pohl, die mittlerweile selbst einige Bekanntheit erlangt hat. Elke Hopfe wirkte durch ihre anspruchsvolle Lehre, aber ebenso durch ihre eigene, zunehmend besondere künstlerische Position, die in großformatigen „Grafischen Bildern“ vom Menschen Ausdruck findet. 

Wenn auch formal ganz anders, steht sie in einer zeichnerischen und grafischen Linie, die nicht nur von Kettner geprägt ist, sondern „tiefer“ reicht. Eine kleine Ausstellung im zum Kupferstich-Kabinett gehörenden Hegenbarth-Haus - der einstigen Wohn- und Arbeitsstätte Josef Hegenbarths -, die „Dresdner Köpfe“ von diesem, Otto Dix und Hans Theo Richter (aus unerfindlichen Gründen leider nicht von Gerhard Kettner) zeigt, aber eben auch von Elke Hopfe und Max Uhlig, macht sehr schön diesen Zusammenhang sichtbar.

Darüber hinaus waren natürlich auch andere Wege möglich. So hat Kerstin Franke-Gneuß bei Siegfried Klotz und Günter Horlbeck studiert. Jahre zuvor hatte bei letzterem auch Elke Hopfe Diplom gemacht, dem in ihrem Fall einige Jahre später das Meisterschülerstudium bei Kettner folgte. Dass die Erstgenannte sich eher in Richtung einer deutlichen Abstraktion entwickelte, hat möglicherweise auch mit der Orientierung Horlbecks an der Klassischen Moderne, besonders Kandinsky und den Franzosen, zu tun. Zugleich fand sie im Drucker Roland Ehrhardt einen intensiven Berater und Kenner Dresdner Kunst bis in ihre abstrakten Triebe. Und dass Elke Hopfe eine besondere Liebe unter anderem zu Picassos Kunst entwickelte, ist vielleicht auch mit über Horlbeck vermittelt. 

In Leipzig wirkten wiederum viele andere Einflüsse, wobei, wenn es um Grafik geht, die Buchtradition und damit die Illustration einen wichtigen Platz haben. Aber natürlich entwickelte sich auch die Freie Grafik, wobei einige Leipziger sich in den Nachkriegsjahren bekanntlich Richtung Dresden verabschiedeten: Max Schwimmer etwa, bei dem dann an der HfBK unter anderem Max Uhlig studierte. Oder auch Ernst Hassebrauk, den man 1949 aus seinem Leipziger Lehramt entfernte. Gleichwohl hielten in Leipzig in den kommenden Jahrzehnten Künstler wie Dietrich Burger oder Rolf Kuhrt, aber auch Karl Georg Hirsch die grafische Tradition hoch, abgesehen von den ebenfalls grafisch versierten Malergrößen Tübke, Heisig, Mattheuer.

Einige der hier Vertretenen orientierten sich besonders an Künstlern wie Burger oder Kuhrt. Christine Ebersbach hielt sich jenseits der in Leipzig üblichen erzählerischen Orientierung und der Malerei, wandte sich der Landschaft zu, mit ungewöhnlichen Farbholzschnitten. Und Mechthild Mansel, die bei Karl Georg Hirsch und Ulrich Hachulla Meisterschülerin war, widmet sich in ihren Grafiken dem Menschen als solchem.

Im Folgenden werden wir beide uns nun den Grafiken der hier vertretenen
Künstler/Künstlerinnen im Einzelnen widmen.


Gerlinde Förster

Vorab noch etwas: Allen künstlerischen Drucktechniken, also Tiefdruck, Flachdruck, Hochdruck und Durchdruck (Siebdruck) ist gemeinsam, dass das Bild spiegelverkehrt mit den verschiedensten Werkzeugen in die Druckplatten bzw. Druckstöcke eingearbeitet wird. Das ist beim Betrachten nicht unbedingt gegenwärtig, dabei ist es eine ziemliche Leistung für das Vorstellungsvermögen. 

Zuerst geht es um den TIEFDRUCK und hier um die Arbeiten von Steffen Fischer, Kerstin Franke-Gneuß, Tanja Pohl, E.R.N.A. und Mechthild Mansel. 

Steffen Fischer hat für die Ausstellung fünf Farbtiefdrucke aus der Serie „Himmlisch – Höllisch“ ausgewählt. Abgesehen vom handwerklichen Können, die so ein Farbtiefdruck voraussetzt – mehrere Farben müssen passgenau nacheinander von der Metallplatte auf das Papier gedruckt werden – haben es diese Blätter künstlerisch wie inhaltlich in sich. Es geht um Menschen, um ihr Verhältnis, um ihr Sein in der Welt, um Macht und Ohnmacht, Gewalt und Unterwürfigkeit. Gnadenlos ist Fischers Blick. Nichts wird geschont. Er lässt die Körper sprechen. Ihre Form ist wichtig. Farbe gewichtet, die Linie führt zur Aussage. Wir haben es mit einem großartigen und eigenwilligen Zeichner zu tun. Sein Duktus bringt mir Blätter ins Gedächtnis von Dix und George Grosz, die ja beide auf der Brühlschen Terrasse studierten, Grosz bei Richard Müller, der im Heraufziehen der Naziherrschaft dienstbeflissen für den Rausschmiss von Otto Dix als Professor aus der Hochschule sorgte. 

Kerstin Franke-Gneuß sagt, Radierung sei ihre Sprache. Die Linien müssen dann ihre Wörter und Sätze sein, mit denen sie formend artikuliert. Sie gräbt Linien in die Platte, verdichtet, lässt Raum dazwischen. Liniengebilde überlagern sich Schicht um Schicht, werden flächig. Ihr Tonwert, hart oder weich entsteht im Säurebad. Es ist, als suche sie mit den Linien, wovon sie noch nicht weiß, was es ist. Im Ziehen der Linien folgt sie intuitiv einer Spur, schenkt den ewigen Metamorphosen, dem Fließen und Verfließen Aufmerksamkeit. Und dann deutet sich hinter harten hellen schneidenden Linien schemenhaft eine an einen Kopf erinnernde verschnürte Form an. Die Linie ist Kerstin Franke-Gneuß‘ bildkonstituierendes Element – durchgängig: in der Radierung wie in der Malerei bis zu ihren großen künstlerischen Arbeiten für den öffentlichen Raum. Ich denke nur an die fast dreißig Meter lange „Woge“ für ein Gebäude der Dresdner Wasserwirtschaft.


Ingrid Koch

Die gebürtige Vogtländerin TANJA  POHL, die nun im thüringischen Greiz lebt und arbeitet, ist mittlerweile eine mit mehreren Auszeichnungen geehrte Künstlerin. Gerade erst erhielt sie das thüringische Landesstipendium. Hier nun ist die sowohl mit Grafik als auch Malerei, zudem mit Performances und skulpturalen Arbeiten bekannt gewordene Akteurin mit vier beeindruckenden, von ihr als TIEFDRUCKE benannten Arbeiten vertreten. Es handelt sich um großformatige abstrahierte Kopfformen, die mehr oder weniger an angegriffene Landschaften erinnern. Kein Wunder: denn Mensch und Landschaft vor dem Hintergrund existenzieller Bedrohung, ja Zerstörung, ist ihr Thema – ursprünglich angeregt von Industriebrachen, die sich in der Folge des gesellschaftlichen Wandels nach 1989 im Osten ausbreiteten. In den gezeigten Arbeiten nun nutzt sie ihr Formenvokabular – fast konstruktiv wirkende Elemente, ja Flächen, die eine durchaus inhaltlich bedeutsame Struktur bilden. Sie verbindet sie hier mit signalhaften Farbflächen, wodurch das Ganze emotionalen Ausdruck erhält – ganz stark  wahrnehmbar in der Arbeit „Zerrissen“.

Gerlinde Förster

E.R.N.A.  ist mit Kaltnadelradierungen, Ätzungen und einem 4 Meter langen Siebdruck (fast unter der Decke und nur von hier hinten aus zu sehen) vertreten. Alle Arbeiten gehören zur Frühphase ihres Schaffens bis 1990, mit dem sie in den letzten Jahren der DDR als eine der wichtigsten Künstlerinnen hervorgetreten ist und zur Rezeption der Moderne, vor allem in ihren gestisch-expressiven Gestaltungsweisen von Dresden aus beigetragen hat. Ihre künstlerische Ausdrucksweise in dieser Zeit resultierte aus einem Lebensgefühl, das von der Abkehr gegenüber verkrusteten und kleinbürgerlich festgefahrenen Wertvorstellungen bestimmt war und in den Inspirationen des Dresdner Expressionismus wie der vitalen Kunstszene an der Elbe einen künstlerischen Ankerplatz vorfand. Damals wie heute ging bzw. geht es ihr um die Erkundung von Lebendigkeit. Sie will nicht nur um die Quellen ihrer kreativen Energie wissen, sondern auch wie sich das Leben für sie darstellt. Ihre Themen schöpft sie aus ihrem realen Leben, ihrem Umfeld, den Menschen, mit denen sie zu tun hat. Ihre Titel belegen es: Hand-, Fuß-, Kopfwaschung | Paul schweißt weiter. Ihre Wahrnehmungen werden dabei zum Fixpunkt, von dem aus sich reflektiert die gestalterische Optik ihrer Bilder entfaltet. Die Turbulenzen jener Jahre bis zur politischen Wende spiegeln sich unübersehbar in ihren Figurationen, die sie als außergewöhnliches zeichnerisches Talent ausweisen. 


Ingrid Koch

Unter die TIEFDRUCKE fallen auch die Kaltnadel und Ätzradierung kombinierenden, stark linear angelegten Blätter der in Dresden wirkenden Künstlerin MECHTHILD  MANSEL, die zunächst – dank ihrer schon erwähnten Ausbildung in Leipzig - vor allem grafisch arbeitet, aber auch mit Malerei hervortritt. Im Mittelpunkt der hier gezeigten Arbeiten steht der Mensch, dessen Befindlichkeiten und Verhaltensweisen, nicht zuletzt in seinen Beziehungen. Die menschliche Figur, einschließlich separater, verschiedene Affekte ausdrückende Köpfe,  erfährt eine auf das Wesentliche ausgerichtete Abstraktion. Gleiches gilt für interagierende  Gruppen, die von einem Spiel von Linien zusammen gehalten werden. Geätzte Partien auf den Blättern schaffen zusätzlich formal Zusammenhalt.


Gerlinde Förster

Drei sehr unterschiedliche Handschriften begegnen uns in den Arbeiten von Ellen Fuhr, Paul Böckelmann und Christine Ebersbach als HOCHDRUCK. Sie zeigen, welches Potenzial gestalterisch wie drucktechnisch dieses Medium birgt.  

Gleich einem Bekenntnis stellt sich Ellen Fuhr mit der um 2014 entstandenen Serie „Weltverbesserer“ in die Tradition des Dresdener Expressionismus mit dem für die Brücke wie die Sezession Gruppe 1919 stilprägenden Holzschnitt. Bewusst entscheidet sie sich für die starke und kraftvolle Form des Holzschnittes bei der Darstellung der Köpfe von Hanna Ahrendt, Erich Mühsam, Ernst Toller, Eugen Leviné, Ines Armand, Tschernyschewski, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Die Porträts nebenan sind eine Auswahl aus einer ganzen Folge, in der sie Schriftsteller, Philosophen und Revolutionäre zeigt, die Anfang des 20. Jahrhunderts an eine gesellschaftliche Erneuerung glaubten, sich dafür einsetzten und denen Ellen Fuhrs Bewunderung galt. Nietzsche, Tina Modotti, Walter Benjamin, Kurt Eisner, Georg Lukacs u.a. gehören auch dazu. Auf meisterhafte Weise schafft sie es, über den Schnitt ins Holz, nicht zuletzt weil sie konsequent im Schwarz-Weiß bleibt, in den Köpfen der Dargestellten jene Spannung zwischen Konzentration, gedanklicher Kontemplation und expressiver Entschiedenheit zu erzeugen, die diese Persönlichkeiten ausmacht und exponiert. Ellen Fuhr wusste, was und warum sie etwas tat. 


Ingrid Koch

Zu den drei ganz unterschiedlichen Handschriften, die sich hier in HOLZSCHNITTEN   manifestieren, gehört der dreiteilige „Epitaph“ von PAUL BÖCKELMANN. Im ursprünglichen Wortsinn – seit der Antike – war damit eine Grabplatte gemeint. Angesichts existenzbedrohender Kriege in Vergangenheit und Gegenwart wirkt diese Arbeit wie ein Kommentar dazu. Ein genaueres Hinschauen lässt die dargestellten abstrahierten Männerfiguren als in der einen oder anderen Weise als Versehrte erkennen. Die auf Linearität ausgerichtete Art des Holzschnitts lenkt in seiner Klarheit nicht ab, ist nicht auf Vordergründigkeit aus. Man muss durchaus etwas genauer hinschauen, um die Tragik des Dargestellten zu erfassen. Als Triptychon angelegt, verweist das Werk darauf, dass durch Gewalt bedingtes verletzt Werden und Sterben auch in der Gegenwart keine Ausnahme ist. Menschen, denen Arme und Beine fehlen, dürfte man in Europa wohl bald wieder öfter sehen - leider.


Gerlinde Förster

Zentrales künstlerisches Thema von Christine Ebersbach ist die Auseinandersetzung mit der Landschaft. Ihr bestimmendes Medium dafür ist seit vielen Jahren der Farbholzschnitt. Sie hat die Technik, von mehreren Platten nacheinander zu drucken, perfektioniert. Betrachtet man ihre Blätter, ist auf den ersten Blick oft kaum zu glauben, dass es sich um Holzschnitte handelt. 

Ihr Bildaufbau ist streng gegliedert, die Flächen sind klar angelegt. Der Bildraum ist strukturiert. Er erscheint leer und still. Eine seltsam suggestive Wirkung strahlt er aus. 

Viele der Landschaften zeigen ihre Vorliebe für Seen und die Küste, für nördliche Gefilde. Mit der ihr eigenen faszinierenden Farbkultur schafft sie es, die Weite von Natur und ein Bedürfnis zum Innehalten beim Betrachten ins Gefühl zu bringen. Flirrendes Licht an der Wasseroberfläche, Spiegelungen auf nassem Steg, wer schafft so etwas im Holz? Christine Ebersbach! Mit ihrer Herangehensweise hat sie sich nicht nur künstlerisch behauptet, sondern auch ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen. 


Ingrid Koch

Eine wahrhafte, für viele tödliche Katastrophe hat Ararat  HAYDEYAN erlebt. Der Armenier, der seit längerem hier im südlichen Brandenburg zuhause ist, wurde 1988 Zeuge des Erdbebens, das unter anderem die Stadt Spitak, in der er dazumal Stadtarchitekt war, total in Trümmer legte und 25000 Menschen das Leben kostete. Diese Situation war sicher der Auslöser, dass er mit seiner Frau nach Deutschland kam und den nicht leichten Weg in eine neue Stabilität ging. Heute kennt man ihn und sein vielfältiges Schaffen in der Region und auch darüber hinaus. 

In der Ausstellung nun zeigt er drei abstrakte, nahezu geometrisch angelegte MONOTYPIEN, die eine in sich gut abgewogene Farbigkeit aufweisen und sich schön in die Präsentation einordnen. Die Formensprache ist in diesem Fall durchaus dem Architekten nah – seiner ursprünglichen Profession.

In unserer Ausstellung ist eine weitere Technik des Flachdrucks vertreten – die LITHOGRAFIE. Sie wird von ERIK  SEIDEL, wie Tanja Pohl ein gebürtiger Vogtländer, repräsentiert. Der heute in Leipzig Ansässige ist nicht nur ein interessanter Grafiker, sondern vor allem auch ein interessanter Bildhauer. Der Zusammenhang Bildhauerei – studiert hat er unter anderem bei Dietrich Nitzsche an der HfBK, zudem eine Steinmetz- und Steinbildhauerausbildung in Plauen angeschlossen -, Zeichnung und Grafik ist ja nicht von der Hand zu weisen. Und wie bei Paul Böckelmann scheinen mir einige der 2023 entstandenen Arbeiten sehr nahe an heutigen existenziellen Fragen des Menschen. Wer sich den „Letzten Gast“ ansieht, sieht sich Gevatter Tod gegenüber. Und der clowneske Typ, den seine „Schatten“ verfolgen, ist nicht gerade stabil. Es sind auch formal eindrucksvolle Arbeiten, die durch das lithografische Verfahren einen teils fast malerischen, etwas pudrigen Charakter haben oder an Zeichnungen mit verschieden starken Pinseln erinnern. Zusätzlich kann auch mal der Abdruck einer Hand bereichernd hinzukommen.


Gerlinde Förster

Eine weitere Form des Flachdrucks begegnet uns in den Blättern von Gudrun Trendafilov. Es sind Algrafien, also Flachdrucke, bei denen die Zeichnung nicht vom Stein, sondern von einer Aluminiumplatte gedruckt wird. Die in Nürnberg lebende Künstlerin, ist künstlerisch fest in Dresden verankert. 1989 gehörte sie im Dezember zu den Gründerinnen der „Dresdner Sezession ‘89“, jener Gruppe von wichtigen Künstlerinnen, die sich mit der Namenswahl programmatisch auf die „Dresdner Sezession 1919“ um Dix und Felixmüller bezog.
Gudrun Trendafilov zeigt Frauenköpfe und ein eng umschlungenes Paar. Ihr Strich ist von subtiler Sinnlichkeit. Die Zeichnungen atmen Stille. Sie haben etwas Selbstversunken-Träumerisches, gleichsam als ob die Künstlerin hinter das Mysterium ihres Seins kommen wolle. Ohne ihren untrüglichen Blick für Komposition aufzugeben, führt sie mit beeindruckender Virtuosität und Grazie ihre Linien. Die Dargestellten sind Wesen, die sich nach Zuwendung, nach Wärme sehnen, vielleicht gerade deshalb, weil sie selbst zur Genüge um die Höhenflüge und bodenlosen Abgründe weiß, die das Leben bereit hält. Sie sagte einmal, man müsse auf der Hut sein, dass uns gegenwärtig Menschlichkeit nicht entgleitet. Und im Manifest der „Dresdner Sezession ‘89“ hieß es, die heutige Welt brauche die weibliche Wahrnehmungsweise aus weiblichem Identitätsgefühl. So kann die Kunst von Gudrun Trendafilov als ein stetiges Umkreisen der Frage gesehen werden, wie nachdenkliche, selbstbewusste Weiblichkeit aussieht. 

Ingrid Koch

ELKE  HOPFE zeigt hier drei Blätter, die in ihrem Schaffen der jüngeren Zeit durchaus ein Sonderfall sind. Es handelt sich um Grafiken, konkret SIEBDRUCKE, die obendrein noch mit deutlichen farbigen Statements versehen wurden. Die Arbeiten entstanden als einmalige Aktion. Kein Sonderfall sind diese Blätter allerdings bezüglich ihrer Formensprache. Ausgangspunkt ist wohl eines ihrer Grafischen (Figuren)Bilder – also eine großformatige Zeichnung, die den Menschen in seiner vielfältigen Existenz thematisiert. Im Arbeitsprozess hat sich die Ausgangszeichnung mehr und mehr zu einem Figurzeichen gewandelt, das für die Siebdrucke in einem fotografischen Verfahren verkleinert wurde. In der Folge erhielt das mehrfach gedrehte grafische Motiv zudem leuchtende, das Schwarz der Linien teils verbindende Farbflächen, die auch die Gesamtaussage jeden Blattes beeinflussen. Auch diese Siebdrucke lassen erkennen, dass Elke Hopfe nicht nur in eine Dresdner Tradition eingebunden ist, sondern dass für sie ebenso Impulse aus der internationalen Moderne, etwa aus der Kunst Picassos oder Bacons interessant sind.


Gerlinde Förster 

Mit dieser Ausstellung sehen wir uns einer Vielfalt von beeindruckenden Handschriften im Grafischen gegenüber. Zugleich zeigt sie: die Grafik behauptet sich als eigenständiges, gleichberechtigtes Medium neben Malerei, Bildhauerei bis hin zu raumbezogenen Arbeiten. Angemerkt sei noch: das künstlerische Spektrum der Beteiligten ist weiter gefasst. Malerei, z. T. Plastik und auch Arbeiten für den öffentlichen Raum gehören dazu. Als zentrales Anliegen auszumachen ist der Mensch, sein Sein in der Welt, ob als Porträt, als Kopf, metaphorisch, zuweilen mit surrealem Anklang oder abstrahierend. 

Aber die Ausstellung „tief – flach – hoch“ widmet sich nicht einfach dem Fokus Druckgrafik und versammelt hochkarätige Vertreterinnen und Vertreter dafür, nein: Sie ist mehr.
Zum 20. Galeriejubiläum von Altenau 04 wird die Ausstellung zum Statement. Sie ist ein Plädoyer 

    •    für das Werk mit der Hand – denn es ist der Urgrund menschlichen Schaffens und der Kunst.

    •    Sie ist ein Plädoyer für den Wert selbstbestimmten Probierens und Spielens und für das Glück, durch die Arbeit mit der Hand bei sich zu sein und sich eins zu fühlen mit dem Gegenstand seines Tuns.

    •    Schließlich ist die Ausstellung ein Statement für die menschliche – selbst in der digitalen Welt – nicht verschwindende Sehnsucht nach Echtem, nach Direktem, nach dem Individuellen, analog wie haptisch-visuell Erfahrbarem. 


Quellen:

1   Vgl. Lothar Lang, in: Dieter Hoffmann. Glockenspeise, Jahresgabe 1996 der Pirckheimer-Gesellschaft e.V. Berlin, S. 83

2   Vgl. Michel Hebecker, in: Wege des Sehens. Kettner und seine Schüler. Katalog der Ausstellung, Weimar 1999, S. 5